Wir wissen nicht viel von Armenien, ausser das “System of a Down” von dort kommen und alle die dort waren nur gutes berichten. Es hat eine ähnlich alte Religion wie Georgien, viele Kriege hinter sich – ein Genozid durch die Türkei im Zuge des ersten Weltkriegs, bei dem auch das Nationalsymbol, der riesige Berg Ararat, den man gut von überall sieht, an die Türkei fiel und anhaltende Spannungen mit Aserbaidjan, vor allem im umstrittenen Gebiet Bergkarabach, dass derzeit komplett von Aserbaidjan kontrolliert wird (und durch die UdssR auch rechtlich zugesprochen), obwohl 80% der Bevölkerung Armenier sind. Das Land scheint kaum Verbündete zu haben und es ist wie Georgien zwischen Westen und Russland gespalten, wobei hier die Stimmung deutlich pro Russland geht. Wir wollen ca. 2 Wochen hier verbringen, was uns genug Zeit geben soll, das kleine Land mit 3 Mio Einwohnern (7 Mio leben übrigens im Ausland) zu erkunden.
Ankunft im Debed Tal
Da kriegähnliche Zustände mit Türkei und Aserbaidjan herrschen, ist Armenien am Landweg derzeit nur über Georgien (und etwas komplizierter über den Iran) zu erreichen. Der Weg über die Grenze führt uns gleich durch eins der Naturhighlights – das Debed Tal. 2 Farben sind hier vorherrschend – Grün und Braun. Die Straße, bei der immer wieder ein ganzer Fahrstreifen in die Tiefe weggebrochen ist, schlängelt sich durch grüne archaische Berge, entlang des reissenden und sehr braunen Flusses Debed. Immer wieder fahren wir bei verrosteten Industrieplätzen vorbei und durch Erdrutsche halb verwüstete Dörfer, die ebenfalls alt und vor allem verrostet wirken. Hinzu kommen unterschiedliche (verrostete) Strommasten aus Jahrzenten Vergangenheit, in einer Anzahl, wie ich sie noch nie in einem Land gesehen habe.
Wir besuchen 2 der vielen uralten Kirchen, die eine ganz eigene armenische Architektur haben und sehr mystisch wirken. Das düstere Wetter trägt zur Stimmung in den dunklen schwarzen Kirchen bei, die nur mit flackernden Kerzen ausgeleuchtet sind. Wir verbringen die Nacht bei Betonpilzen im Soviet Brutalismus Stil, die auf einen der Berggipfel als Picknickplatz gebaut wurden und genießen die Aussicht ins Debed Tal. Eine Familie mit Baby kommt vorbei und wir bekommen ei Gefühl das später Gewissheit wird – hier sind die Menschen ultra freundlich ( vor allem im Kontrast zu den stoischen Georgiern)…
Gyumri – Kunst und Kultur
Nach dem Debed Tal besuchen wir eine der wichtigsten Städte Armeniens – Gyumri. Das verschlafene kleine Städtchen zeichnet sich durch zahlreiche Kunstgallerien, Cafes und die typischen Tuffsteinbauten, die hier in interessantem schwarz-orange gehalten sind, aus. Am Weg bleiben wir noch in Vanadzor stehen, heben Geld ohne Gebühr ab, kaufen eine billige SIM, kaufen unser erstes Lavash (armenisches Riesenfladenbrot) und kaufen in einen gut bestückten Supermarkt ein. Hier scheint alles wieder herrlich unkompliziert zu funktionieren. In Gyumri übernachten wir auf einem Parkplatz vor einer typischen Sovietstatue die zu Mama Armenia umfunktioniert wurde. Wir lernen einen kunstbegeisterten Ukrainer kennen, der uns Tipps gibt und eine kleine Gallerie zeigt, in der wir ein neues Kunstprojekt “ausprobieren” und nacher von ihm mit Kamera interviewt werden. “Don’t be shy.”
Seewan See
Das “Meer” Armeniens ist der größte Süßwassersee im Kaukasus auf knapp 2.000 m Höhe. Nachdem die Nacht zuvor durch “coole” Autoposer mit aufheulendem Motor etwas getrübt war, genießen wir hier umso mehr die einzigartige Natur und Ruhe. Wir freunden uns wiedermal mit einem süßen Straßenhund an und bewundern die weisse, leicht hügelige Steinsteppe mit karger Vegetation und Vulkanen im Hintergrund, während eine Kuherde im wellenschlagenden See baden geht. Wir treffen auf den immer fröhlichen deutschen Camper Adi, der uns stolz seinen selbstausgebauten UAZ Buchanka (4×4) präsentiert, genau so soll unser zukünftiges Mobil aussehen! Nach 2 Tagen Erholung sind wir bereit für die Hauptstadt…
Yerewan – moderner Reichtum und Wasserspiele
Wir nächtigen etwas außerhalb des Zentrums auf einem Berg nahe des Genozid Denkmals, ein Tipp von Adi, den wir hier auch wiedertreffen. Die Stadt hats in sich und flashed uns komplett. Kaum wo ist der Unterschied zwischen arm und reich spürbarer als hier. Aalglatte Luxuseinkaufsstraßen mit modernen Hochhäusern wechseln sich mit alten großen Tuffsteingebäuden ab, die der Stadt ihren Spitznamen “Pink City” geben. Durchzogen wird das ganze durch unzähligen Springbrunnen und Wasserspiele und exzentrisch großen Sovietbauten, ebenfalls aus Tuffstein. Was das moderne Flair und Feeling der Stadt angeht, ist Yerewan Wien zb haushoch (pun intended) überlegen. Wir gehen mit Adi in eine “Underground”-Bar, trinken dort Brandy, Liköre und Bier. Am nächsten Tag machen wir wie immer eine interessante 3,5 h Free Walking Tour wo wir erfahren, dass Armenien immer kleiner wurde, und außer Russland, die sich nicht sonderlich für das Land interessieren, keine Verbündete hat. Wir gehen relativ teuer essen, kosten Wein und Dolma und beobachten die nächtlichen Wasserspiele mit Musikuntermalung. Am berühmten Handwerksmarkt “Vernissage” kaufe ich mir ein Schachspiel. Schach hat hier lange Tradition, wird in der Schule unterrichtet und hat dadurch viele große Schachmeister hervorgebracht (z.B. Kasparov), das taugt mir als alter Vereinsspieler natürlich ;).
Der höchste Berg Armeniens – Aragats und die freundlichsten Menschen der Welt
Nach ein paar Tagen in brütender Hitze zieht es uns wieder in die Natur. Nachdem der weit sichtbare Ararat für Armenier unerreichbar in der Türkei steht, wollen wir auf einen der Gipfel des höchsten Bergmassivs auf armenischen Boden wandern, den 4.000m hohen Aragats. Mit dem Camper fahren wir bereits recht hoch zu einem netten Bergsee. Am nächsten Tag starten wir die ca. 5h Wanderung. Entlang eines Grates geht es stetig bergauf, den Bergsee und Weidewiesen in unserem Rücken. Oben angekommen treffen wir auf eine armenische Wandergruppe, die gleich mit uns Smalltalk führen (sowas kennen wir aus Georgien nicht) und richtig cool armenische Lieder singen. Am Rückweg werden wir gleich energisch auf russischvon einer Gruppe Barbequeuer eingeladen uns zu ihnen zu gesellen. Sie lassen ein “Nein, danke” kaum gelten, wir ziehen weiter Richtung Camper. Wir wollen heute selber wieder grillen und evtl. nicht ausschließlich Fleischspieße.
Auch auf unserem Campspot hat sich unweit von uns eine Familie niedergelassen und bereitet eine kleine Grillerei vor. Wir beobachten sie aus der Entfernung und chillen in der Sonne. Plötzlich kommt der Vater unerwartet mit einem großen Teller mit Fleisch, Brot, Gemüse und Süßigkeiten zu uns und schenkt ihn uns. Wir sind entzückt und bedanken uns mit handgemachten Armbändern von Carina. Darauf bekommen wir soviel Essen, dass wir heute nicht mehr selber kochen müssen, ein Nein lassen sie wieder nicht gelten.
Ein skuriler Abend auf der Wetterstation
Der Tag ist noch nicht vorbei. Am Abend kommt ein Armenier auf einem Quad zu unserem Camper und überredet uns mit ihm nach Hause auf einen Tee und oder Bier zu kommen. Er wohnt gleich oben am Berg, auf der Wetterstation. Wir fragen uns, was uns dort wohl erwartet, eine ausgelassene Party? Eine weitere Grillerei? Nach unseren guten Erfahrungen mit Armeniern sind wir neugierig, willigen ein und rasen mit ihm zu dritt am Quad übet Stock und Stein bei Höchstgeschwindigkeiten wieder den Berg hoch. Oben angekommen füht er uns in einen mehr als bescheidenen Raum wo ein Bett, 1 Ofen und 1 Kasten steht und sein 14-jähriger Neffe und Mitarbeiter im Bett liegt. Dort sitzen wir verlegen und warten. Er gibt seinem Neffen Anweisungen, uns mit Tee und Wassermelone zu verpflegen. Es ist sehr ruhig, von einer Party nicht die Spur. Dann sagt unser Gastgeber er müsse kurz arbeiten gehen und lässt uns allein. Wir fühlen uns unwohl und versuchen mit dem Jungen in sehr schlechtem english Smalltalk zu führen. Scheinbar arbeiten die beiden jeweils 1 Monat hier oben und sind dann 1 Monat in ihrem Dorf. Er muss täglich mehrmals die Wetterdaten der Station per Computer und Telefon weitergeben. Wir bleiben eine gute Stunde, der Meteorologe beginnt inzwischen ein langes Telefonat, dass in einem Streitgespräch ausartet und wir fragen uns die ganze Zeit, was wir hier eigentlich machen. Schließlich verabschieden wir uns und wandern zurück zu unserem Camper. Auch wenn der Abschluss des Abends komisch war, noch niergends wurde uns so herzlich und gastfreundlich begegnet, wie in Armenien.
Besuch in der Notaufnahme…
Wir fahren weiter in den Süden. Dabei bleiben wir bei einem coolen wüstenartigem Canyon stehen, besuchen eine Basalt-Schlucht mit unglaublichen Steinformationen, sehen einige alte Kirchen, Wasserfälle, eine Höhle, einen Tempel und vieles mehr. Armenien ist toll!
Am Straßenrand sehen wir einige Verkäufer die alle Kübel mit schönen unterschiedlichsten Riesenpilzen verkaufen.Als Pilzliebhaber müssen wir gleich zuschlagen. Natürlich ladet uns der 70-jährige Haik gleich auf einen Tee und Brandy in seine kleine Hütte ein. Ich darf wieder russisch sprechen und wir scherzen alle viel. Er erzählt uns, dass er halb blind ist, aber sein Herz noch stark schlägt. Wir bedanken und verabschieden uns.
Am Abend stehen wir auf einem schönen einsamen Platz mit Blick in eine Schlucht. Nur die Skorpione die sich unter großen Steinen verstecken, sind uns nicht ganz geheuer. Vergnügt bereite ich die Hälfte des Pilzkübels zu und wir essen das leckere Ragout. Nacher meint Carina noch halb im Spaß, halb Ernst: “Was, wenn die jetzt giftig waren?” “Ach, der 70-jährige Haik macht doch nichts anderes, der weiß sicher, welche Pilze genießbar sind”, antworte ich lapidar. Trotzdem recherchiert Carina sicherheitshalber. Bei leicht giftigen Pilzen setzen die Symptome nach ca. 2h ein, bei stark giftigen erst nach ca. 6h. Wir genießen den weiteren Abend… bis sich unser Versauungstrackt plötzlich bemerkbar macht. Zuerst hat Carina Dünnpfiff, danach gleich ich. “Oh Scheiße”, denken wir, “wir haben Giftpilze gegessen!!” Wir schaun auf die Uhr, es sind 4h vergangen, was heißt das jetzt?Carina gerät in Panik, “wir müssen zu einem Arzt, so lange wir noch fahren können!” Das nächste Krankenhaus ist gut 45 Minuten entfernt, an der Grenze zu Aserbaidjan, wo man wegen der Kriegsgefahr eigentlich nicht hin soll. Mitten in der Nacht tuckern wir also mit gluckerndem Magen und Übelkeit nach Gori. Am Weg sehen wir plötzlich lauter beleuchtete Kreuze, ein Zeichen? Wir müssen stehen bleiben, Carina räumt es komplett aus, oben und unten. Vergiftung im Camper mit der “provisorischen” Toilette ist nicht so lustig…Im Krankenhaus angekommen gehen wir um 01:00 früh in die Notaufnahme, die übrigen Pilze haben wir zur Identifikation mitgenommen. Die Empfangsdame spricht weder Englisch noch Russisch. Also versuchen wir ihr mit Händen und Füßen zu zeigen, dass wir diese Giftpilze gegessen haben. Sie denkt, wir wollen ihr die Pilze schenken…. NEIN, verdammt!!
Ein junger Chirurg kommt vorbei und spricht zum Glück gut Englisch. Wir gehen in den Untersuchungsbereich. Der lustige Chirurg schaut sich unsere Pilze nicht an, denkt eher nicht, dass wir giftige Schwammerl gegessen haben und lässt uns warten. Inzwischen begutachten die Krankenschwestern und ein Patient die Pilze. Sie meinen, es sind normale Champignons, der Patient bricht die Pilze auf und entdeckt irgendwas, woraufhin er energisch meint, die Pilze seien giftig. Der Chirurg übersetzt uns lachend: “Also es steht 50/50”. Uns ist nicht so ganz zum Lachen zu Mute. Der “Therapist” kommt und verschreibt uns auf russisch, ohne die Pilze zu sehen einen Infusionscocktail: Ringerlösung, Schmerzmittel und ein Mittel gegen Übelkeit. Mir geht es nicht so schlecht und ich verweigere die Behandlung, eigentlich wollen wir ja vor allem wissen, ob die Pilze giftig waren und wir jetzt sterben müssen, oder ob wir “nur” eine einfache Lebensmittelvergiftung haben. Carina gehts schlecht, aber sie hat Angst vor Spritzen, also verweigert auch sie, so lang wirs überleben, kommen wir schon klar. Also übernachten wir zur Sicherheit nur am Parkplatz vorm Krankenhaus, wo es Carina nochmal gut ausräumt.
Am nächsten Tag (juhu, wir leben noch!) brechen wir unsere Sightseeingtour im Süden ab und suchen Ruhe und Erholung am Seewansee. Zum Abendessen gibts Haferschleim… wir können uns nicht lang erholen, den endlich zeigt das Wetter im georgischen Gebirge ein Sonnenloch, das wir unbedingt für unsere längste und herausfordernste Wanderung unserer Reise benötigen – 1 Woche vom schwer erreichbaren Omalo nach Shatili. Wir düsen los und verlassen das unglaublich tolle Land Armenien!
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